Tagblatt der Stadt Biel, Band 30, Nummer 77, 31. März 1892 IIIF issue linkEin dringender Mahnrus. [ARTICLE]

Ein dringender Mahnrus.

Die blutige Hinridlung des Raubmörder2 San: «at Im gan: zen Lande itefgehenten Nbichen erregt. Cine ber aufregenditen Fragen der Zeit {ft bet diefem Anluffe mwieber gründlich erörtert worden und die Rufe für und wider die Todesfirafe werden nicht mehr verfunmen, ehe diefelbe ganz in das Rei der überwundenen Dinge gehört. Bon den Anhängern diefer traurigen Art der Vergeltung ik unter Andermt ein Arsument geltend gemadt worden, das ungefichts mandjer Tatjahen einen Schein der WaGrheit für fi beanfpruden fönnte, daß nämlich ein rafder Tod eine viel Yırmanere Strafart jet als die Iebenslänglidge Sinkerkerung: Mit der AbiHaffung der LZobeaftrafe if e8 in der Tat nigt getan. Zu ben Forderungen der Humanität gehört aud) eine mög: licht humane Organtfation des Gefängntawefens. Sy ift befannt, daß hiefür mandjeroris eifrige Propaganda gemacht werben, aber ein Sal, der neulih durgh die Prefie bekannt wurde, hat gezeigt, daß da no ımmer Mikfände herren, welde einen ernfien Mahnzur zu dringender Abhülfe herausfordern, Ss {ft Fein faljges Mitgefühl, was uns bewegt, diejfe Heilen zu {Oreiben, fondern die Er: wägung, daß aud; der fHlimmfte Verbrecher ein unvoNfommenes Wejen ift, wie wir felbft, defjen UNebeltat gewöhnlig den legten Ring einer unfeligen Kette von jHweren Verirvrungen bildet, für weldje der Unglückliche wohl felten die Verantwortung alein zu tragen hat. Wir kommen zur Sache. Ein Zürcher im Kanton Glarus jorieb FürzlihH an den Winterthurer „Landboten", anläßlich bes Tales Satti frt dort und anderwäris vielfjadh auf den Kanton Zürich als abfdhredendes Beifpiel allzu großer Milde gegen Mörder hingewiefen und behauptet worden, der Eiternmörder Furrer befinde fi@ heute in Freiheit; Andere fügten bei, er fei auch im Befig und Genufie des von feinen Eltern ererhien und feit dem Tode durch Zins und Zinfeszing vermehrten Bermöpens, Diele von Zeit zu Beit auftretenden Behauptungen wolte die Redaktion des genannten Blattes einmal gründlig widerlegen und wendete fih bekghalb an Herrn Serichtspräfident Kündig, Nationalrat in Präffikon, welcher feiner Zeit die Stelle eines Vormundes für Furrer übernahm. Herr Ründig fhreibt nun, mit der Ermächtigung, feine Mittei ungen zu veröffentliden, Folgendes dem „Landbo:en": „Jean Furrer, Megger von Pfäffikon, IM geboren am 9. Auguft 1844. Am Heinrigstage (13. Juli) 1864, als dem Namens: tage feines Vaters, brachte er perfönlih von ihm vergiftete Würfe feinen Eltern zur Speife. Ste aßen davon, erkrankten und farben am 15. Juli 1864. Der Verdacht lenkte ich fofort auf den Sohn. Derjelbe wurde vertaftet und legte Jhon am 16. Juli 1864 das Geftändnis ab. Die Eheleute Furrer wurden am 19, IJuli 1864 beerdigt: Jean Furrer wurde am 29 September 1864 vom Schwurgericht in Pfäffikon zum Tobe verurteilt, vom Großen Rate aber zu lebensläniglider Kettenfirafe begnadigt. Nach Annahme der neuen fantonalen Berfaffung im Jahre 1868 wurden ihn die Ketten infolge Aufhebung der Kettenfrafe abgenommen. Seitdem figt er als. Zuqthausfräfling in der Strafanfialt. Id befuchte ihn wäh» rend diefer Zeit zu wiederholten Malen. In $ 1112 des Gejeges betreffend die zürcdherijhe Nechtepflege Heißt es: „Wer zu lebens: (änglider Zudthausfirafe verurteilt if, ann nad Ablauf von 15 Sahren jederzeit um Begnabigung einlommen." Nach zirka 16 Sahren erftandener Haft Iprad er mir einmal bei einem Bejuche davon, daß er gedenfe, ein Begnadigungsgefuch beim Kantonsrat einzureiden. Io riet ihm, der dem fOauderhaften Verbrechen gegenüber bis bamals verhältnismäßig Kurgen Strafzeit wegen, bavon ab. Seither hat er meines Wiffens nie mehr von der Be: gnadigung gefproden und au nie ein bezüglidhes Sejuch eingereicht. Um 17. Februar 1892 befuchte ih ihn zum legten Male. Da er unfähig war, auf das Zimmer bes Direktors zu kommen, mußte id mid in feine Sinzelzgele begeben, welche gegen ben Hof gekehrt it. Furrer it in Folge feiner balv 27jährigen Haft Förperlich gebroden und gekrümmt, er kann fon lange nit mehr arbeiten. Er bietet ein wahrhaft Irauriges Bild dar und if in diefem Zuftande wirk'ih zu bemitleiden, Vor Schmerzen und Atemnot kann er weder gen, noch Hegen, noch gehen, und fo Aeht cr Tag und Nacht fo zu fagen beflänbig vor einem in der Mitte ber Zelle ich befindenden Tijhhen. Auf demfelben Liegt eine Tuchunterlage, auf weldger er feine Hände auflegt und. darauf feine Stirne unterftügt,

den Oberförper nad vorn gebeugt. Bei meinem Siniritt und nah erfolgiem Gruß meinerfeits Dob er den Ropf auf und erkannte mid. geil ihn aber die geblidte Stellung weniger Schmerzen bereitet, fo bracte er den Kopf bald‘ wieder in feine urfprünglide Stellung, Er. jpraQ nicht viel, äußerte aber die Hoffnung auf etwelge Er: feichterung feiner Lage. IH verfpragg ihm, das Meinige Hiezu bet: tragen zu wollen und richtete nadher ein diesbezügliches SGejuch an bie Direktion des Gefängniamefens, Wie id vernommen, fol Jon vor meinem Befuche Furrer ärziliH beobachtet worden fein zur Ab: gabe eines bezüglihen Sutachtenz. Was nun feither gegangen, weiß ich nicht. Sein Vermögen fteht no immer unter vormundjhaftliger Verwaltung." Wir braudgen Hiezu nicht viele Worte zu madhen. Es liegt am Tage, daß ein Gefängnisfyftem ‚zu verwerfen. ifi, weldes den Sträfling FörperlidH fo ruinirt, baß ‚er vor unerträgligen Schmerzen weber ltenen, no figen, noch gehen-kann. Zu einer folgen Marter ir der Mifjetäter nicht verurleilt worden und bie Menichlichkett gebietet e&, daß man au dem Ärgiten UnmenjdhHen fein trauriges Dafein im ZuchthauS nicht fhwerer macht, als es nötig it. IYedes Gefühl, bas nicht abgeftumpft {ft, wird fi gegen eine foldje quäs Lerifjhe Behandlung auflehnen und mit uns verlangen, daß Dier einfneidende Reform gefhaffen werde. Die Zuchthausjtrafe iM eine Freiheitafirafe und nicht eine Rörperfirafe. Rörperfirafen find bei uns ja überhaupt abgefhafft. Mun forge im ZuchthHaufe fo viel, als es die Umfiände geftatten, bafır, daß die Infaßen burdh Förperligde Arbeit und Bewegung vor einem folchen Schikjale, wie da3 bes. Johann Furrer, bewahrt hleiben. Hier möchten die Segner der Todesfirafe mit einigem Rechte einwenden, bay eine foldje Marter eine viel größere Qual fei, als ein rafdır Tod. Diefen Vorwand müffen wir ihnen nehmen und durch eine zei‘gemäße Sefängnisreform bafür jorgen, daß die Be: guadbigung vom Henfkerbeil zum Zuchthaus mirklidh den Charakter einer Gnade erbäıt und nicht denj:nigen einer BVerfjchärfung der Strafe dur jahrelange unfäglige Nörperleiden. Der Seil der Humanität diejes unfjeres Zeitaltera drückt ung bie Waffe In die Hand zum Rampfe gegen die brutale, menfcen» unwürdige AbfHlachtung von Berbrechern, derfelbe Geifi der Huma: nität fordert uns auf, mit allen Diitteln auch gegen eine martere volle, graufame Handbabung ber Kerkerfirafe zu wirken,

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