Täglicher Anzeiger für Thun und das Berner Oberland, Band 31, Nummer 112, 14. Mai 1907 IIIF issue linkDie VeMtreMMn von ZoWreiiir Fetzr. [ARTICLE]

Die VeMtreMMn von ZoWreiiir Fetzr.

(Korr, aus Basel.)

Vor den Schranken des Basler Strafgerichts stand letzten Mittwoch vormittag der im Januar von Basel flüchtig gewordene Zollsekretär Jakob Fehr, um sich wegen Veruntreuung von eidgenössischen Geldern im Betrage von Fr. 96,737. 85 zu verantworten. Angeklagt war der 1864 geborene und von Rüblingen im Kanton Schaffhausen gebürtige Defraudant wegen Unterschlagung im genannten Betrage und wegen Fälschung von Privaturkunden. Der Angeklagte hat die Schulen von Rüdlingen (Schaffhausen) und von Flaach (Zürich) besucht, darauf das Gym nasium in Schaffhausen absolviert und schließlich sich das Lehrerpatent erworben. Da ihm der Beruf eines Lehrers nicht gefiel, ging er zum Zolldienst über, ohne vorher als Lehrer irgendwo gewirkt zu haben. Sowohl in der Schule als auch im Amte erhielt er die vorzüglichsten Zeugnisse; die Lehrer rühmten seinen unermüdlichen Fleiß und sein bescheidenes Auftreten und einer drückte sogar in einem Zeugnis den Wunsch aus, die angeborene Bescheidenheit möge den Fehr bei einer eventuellen Bewerbung um eine Lehrerstelle nicht etwa hinderlich sein und seine übrigen guten Qualitäten in den Schatten stellen. Auch seine Vorgesetzten im Zolldienst rühmten den Fehr, dessen Gewissenhaftigkeit und unermüdlichen Fleiß. Die Oberzolldirektion hat ihm sogar noch im Jahre 1901 ein glänzendes Zeugnis ausgestellt, iodaß man unter dem Zollpersonal allgemein annahm, er werde seiner Zeit Zolldirektor des Kreises 1 werden. Es sollte jedoch anders kommen: Will man kurz zusammenfassen, was den Fehr, trotz allen seinen guten Anlagen, auf die Verbrecherlausbahn gezogen, so trifft man das richtige in dem geflügelten Worte: Odorester la komme. Fehr war unverheiratet und geriet, willensschwach wie er war, vollständig in die Fesselln eines gewissenlosen Animierkneipen-Milicus, in welchen er nach und nach unterging. Hätte er sich vorher zur Schießung einer Ehe bequemen können, so stände er heute nicht als verurteilter Verbrecher da, sondern, wie auch sein Verteidiger Dr. Kully behauptete, als angesehener und geachteter Beamte. Doch einmal umstrickt von den Weibern der Animierkneipen gab es für einen schwachen Menschen, wie Fehr einer ist, keine Rettung mehr. Um sich die Gunst der sauberen Wirtin, Frau Hunziker Nagel, und ihres weiblichen Personals zu er-

halten, mußte er splendid sein und beträchtliche Summen fliegen lassen. Genannte Wirtin sorgte alsdann dafür, daß Köchin und Kellnerin ihn für die Ausgaben entschädigten. Wer gerade anwesend war in der Wirtschaft mußte mittrinken und mitessen und, wenn Fehr betrunken war, dann stellte man ihm sogar ein Zimmer zur Verfügung, wo er übernachten konnte, wenn ihm der Heimweg in der Morgendämmerung zu beschwerlich schien. Ein Zeuge behauptet sogar. man habe dem Fehr bei solchen Trinkgelagen das Geld aus der Tasche gestohlen. Es wurde meistens auf Rechnung getrunken, die ost ganz unglaublich hohe Beträge aufwiesen. Wie sich aus den vorliegenden Akten ergab, ist der Mann dabei ganz systematisch geschröpft und ausgeraubt worden; von einer Rechnung über den Betrag von Fr. 900 ist höchstens die Hälfte dieser Summe berechtigt, denn über das, was dem Fehr aufnotiert wurde, hatte dieser gar keine Kontrolle; er hat sich überhaupt nicht über die Richtigkeit der Posten orientiert, sondern einfach glattweg das Verlangte bezahlt. Bei einem Wirte, namens Götschel, hatte er in sechs Tagen 195 Flaschen Wein konsumiert und erhielt dafür eine Rechnung im Betrage von Fr. 695. Bei Baumgartner, Wirt am Lindenberg, hatte er in einigen Tagen eine Rechnung von Fr. 788 auflaufen lassen; Fehr hatte ihm angegeben, er sei Zolldirektor und beziehe ein Salär von Fr. 13,000. Für die Wirtsfrauen, Kellnerinnen, Köchinnen rc. kaufte er beim Coiffeur Mussard Parfüms und andere Dinge und bezahlte dafür eine Rechnung im Betrage von Fr. 78. In einer Nacht wurden von einer etwa lOköpfigen Tischgesellschaft, die er bewirten ließ, drei Kisten Zigarren gebraucht, vom Wirt auf die Rechnung geschlagen. Der Strafgerichtspräsident Dr. Hübscher zählte eine ganze Reihe von Wirten, die sich an Fehr, der immer willig gab, bereicherten, und, alles in allem, von ihm Summen bis zu Fr. 8000 erhielten. Es ist nicht zu glauben, wenn die Hauptvampyre unter diesen Wirten behaupten, sie hätten keine Ahnung davon gehabt, daß das verschleuderte Geld auf unrechtmäßige Weise erworben war, im Gegenteil, die Aktenvcrlesung ergab, daß der eine oder andere dieser Elemente darüber ganz im Klaren war; hat sich doch eine Wirtin der andern gegenüber damit gebrüstet, sie verstehe es besser, den Fehr zu schröpfen, als die andern; die Wirtin Hunziker Nagel forderte brieflich den Fehr, als er einige Tage ausblieb, auf, doch wieder zu kommen, „sonst gebe es ein Drama". Sie gab zwar an, sie habe damit andeuten wollen, daß die Wirtschaft „verlumpen" werde, wenn der Spender ausbleibe, aber man fühlt aus den Worten die Drohung nur zu gut heraus. Die ersten Veruntreuungen begannen im Jahre 1902 und im Januar 1904 war bereits ein Manko von 45,000 Fr. in der Kasse, die Fehr verwaltete; drei Jahre später ein solches von Fr. 96,737.85. Wie war das möglich? Fehr behielt die Barkaution für sich und, als er sie an diejGrenz Wächter zurückzahlen sollte, schob er die Sache hinaus und behauptete, er müsse warten, da man auf der Ersparniskasse das Kapital auf drei Monate künden müsse. Diese Behauptung entspricht natürlich nicht den Tatsachen, aber doch hat man sie, selbst auf Seite der Vorgesetzten, geglaubt. Beträge, die der Zollverwaltung angehörten, Bußen für Zolldefrau

dationen, :c. hat Fehr einfach eingestrichen und damit seine Trinkgelage und Schäferstündchen bezahlt. Ebenso verfuhr er mit dem Erlös aus der verkauften Makulatur. Als einmal der verstorbene Revisor Lüthy den Fehr darauf aufmerksam machte, baß der Posten für Makulatur noch ausstehe, wurde er von Fehr barsch angefahren, worauf er seine Reklamation nicht mehr erneuerte. Um nun trotz der großen fehlenden Beträge die Kassarevision bestehen zu können, machte er auf der Ecsparniskasse eine Einlage von Fr. 100 und trug alsdann mit gefälschter Unterschrift und mit nachgemachtem Stempel Posten in das erhaltene Sparbuch ein bis zum Betrage von Fr. 88,000. Daß sämtliche gefälschten Einlageposten unter dem gleichen Datum, 1. August, und ohne Jahreszahl eingetragen waren, ist weder bei einer Revision noch sonst jemanden aufgefallen. Der Angestellte an der eidgen. Finanzverwaltung, Oberst Franz Siegwart, der die jährliche außerordentliche Kassarevision vorzunehmen hatte, hat dies getan, ohne die Titel auf ihre Echtheit zu prüfen; vom Verteidiger befragt, ob aus diese Weise überhaupt denkbar sei, antwortete er, er habe nur nachzusehen, ob die Kasse stimme, dagegen sei es nicht seine Sache die Kafsabüchlein auf ihre Echtheit zu prüfen; das sei Sache der Kreisdirektionen. Auch der Umstand, daß das Kassabüchlein auf den persönlichen Namen des Fehr ausgestellt war, statt auf den der Zollverwaltung, ist niemanden aufgefallen. Obligatorisch sind jährlich 12 Revisionen durch die Kreisdirekiion; es sind jedoch gewöhnlich nur 2 vorgenommen worden. Kurz, die Kontrolle war eine höchst mangelhafte und dies ermöglichte es dem Fehr, so große Beträge zu veruntreuen. Es scheint, daß man in Bern der ganzen Untersuchung Steine in den Weg legte; als nämlich der Zeuge Oberst Franz Siegwart seinen für die Finanzverwaltug ausgearbeiteten Bericht über die Sache vorwies und den Präsidenten ersuchte, denselben kommen zu lassen, gab ihm der Präsident zur Antwort: „Ich verzichte darauf, in dieser Sache noch etwas in Bern zu verlangen, da bereits der Untersuchungsrichter Schwierigkeiten hatte, wenn er von Bern etwas zur Beschleunigung der Untersuchung erhalten wollte." Die Bemerkung dürfte in der schweizerischen Presse noch ihr Echo finden. Da Fehr bekanntlich ein volles Geständnis abgelegt hat, zog sich die Verhandlung nicht in die Länge, sodaß der Fall in 5 Stunden erledigt war und das Urteil verkündet werden konnte. Wie bereits gemeldet, schloß sich das Gericht dem Antrag des Staatsanwaltes an und verurteilte den ungetreuen Beamten unter Anwendung der Art. 75 und 58 des Bundesstrafrechtes zu 5 Jahren Zuchthaus und Ivjähriger Einstellung im Aktivbürgerrecht. Den Betrag von 96,737.85 Fr. hat Fehr zu vergüten. Gegen die Wirte, die den Verurteilten systematisch ausgeplündert haben, soll eine Untersuchung eingeleitet werden.

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