Bündner Nachrichten, 26. Januar 1888 IIIF issue linkDas Nizza der Gletscher [ARTICLE]

Das Nizza der Gletscher

Unter diesem Titel hat Augujnn Filon im Pariser „ Figaro eine graziöse und anziehende Schilderung von Davos und dem Davoserleben entworfen . Dieselbe i 5 un 3 von befreundeter Seite zugestellt worden und wir beeilen uns , sie für unfere Leser zu übersetzen , indem wir den ersten Theil mit der Schilderung der „ Entdeckung von Davos durch die Herren Dr . Unger und Hugo Richter , die aus Dichtung und Wahrheit gemischt zu sein scheint , sowie die Beschreibung des Dorfes übergehen und gleich mit dem Leben der Daooser Kurgäste beginnen . „ Der Sterbende , oder wenigstens der so genannte , steht früh auf . Er ist frisch und munter , frisch aber hauptsächlich , denn um der ärztlichen Vorschrift nachzukommen , hat er bei 20 — 25 Grad Kälte mit offenem Fenster geschlafen . Nachdem er wie ein Vielfraß gefrühstückt hat , ergeht er sich auf der Poststraße . Sein Kostüm ist folge . ldes : Ein Strohhut , ein Mantel und Schneeschuhe , die man über den Stiefeln trägt , und welche die Füße wahrhaft monftruüs er- > scheinen lassen — der Kopf eines Pflanzers , der Körper eines Eskimos . So fpazi-rt er um oen See herum , oder er erklettert die steilen Abhänge , die zu den HüUen

der Schatz üp führen , wo man Milch trinkt , wenn nicht seine Liebhaberei ihn zu den schulen , von jungfräulichem Schnee bedeckten Flächen führt , die in sanften Wellenlinien ggen Frauenkirch zu abfallen O , dieser Davoserschnee , — hier hart wie Granit , da fein , leicht und trocken wie Slaub ! . . . Armer Pariserschnee , der du schon schmutzig bist , ehe du die Erde erreichst , und dich dafür rächst , indem du Jedermann beschmutzest , der du eckelhaft ausstehst wie alle weißen Dinge , die nicht sauber sind , armer Ausgestoßener , den die Stadtverwaltung zu dem Unrath zählt und den die Straßenkehrer zusammenscharren in kleinen unsauber « Winkeln , armer Pariser schnee , wie siehst du aus neben deinem Bruoer in Davos ? Hier regiert er ! Er ists , der die Unansehnlichkeiten verhüllt und der Erde seinen weißen , poetischen Stempel aufdrückt , der an den Rand der Dächer das Spitzengewebe seiner Stalaktiten hängt , alle Ecken rundet , die Stufen ausgleicht , die Lücher füllt , die Abhänge überpolstert und von einem Tag zum andern die Form und die Umrisse aller Dinge verändert mit unerschöpflicher Laune und Eigenmächtigkeit .

ES ist IN / 2 Uhr . Das Thal ist überfluthet von Licht und Wärme . Das Thermometer steigt an der Sonne bis auf 40 und 50 Grade . Die „ Sterbenden find vor dem Kurhaus vereinigt . Fröhlich fpazieren sie herum , oder strecken sich auf den bequemen Ruhebänken aus , während die Musik Tänze spielt und hell bemalte Schlitten vorübersaufen , fchnell wie der Wind , gezogen von lebhaften Pferden , an denen luftige Glöckchen bimmeln . Man fchwatzt ganz laut , man lacht hell auf . Es ist etwas in der Luft , das erregt , das in den Menfchen lebhafte Empfindungen erweckt und sie zu lauten Aeußerungen drängt . Bei den letzten Tönen des Orchesters verfchwindet die Menge . Man dinirt . Ich verzichte darauf , dle Massen der Speifen zu schildern , die von den Mägen der „ Sterbenben verschlungen werden . Suppe , Hühner , Roastbeef , Kalbskoteletten , Berge von Würsten , begossen von Strömen von Veltliner , zum Abschluß Eis , Konsekt , Kompotten und „ Süßigkeiten aller Alt . Nun möchte man sie zermalmt glauben unter der Starrheit elner langsamen Verdauung . Mit Nichten : sie sind fchon auf dem Weg zum Skating—-linlg , wo die Schlittschuhläufer sich drängen .

Man verbringt eine angenehme balbe Stunde beim Iusehn , wie der Anfänger einen Tronchonftuhl vor sich herfchiebt , wie der Virtuose vor- und rückwärts fährt und seinen Namen dabei auf das Eis lritzt . Am reizendsten sind die Paare anzuschauen , mit ihrem raschen Vordringen im gleichen Takt , mit ihren rhythmischen Bewegungen , welche die Gestalten in wellensörmigen harmonischen Linien bald beugen , bald heben . Die Männer weiden dabei fast graziös — die Frauen sind eS zweimal mehr als gewöhnlich . Um 5 Uhr gehn die Deulschen zum Bier , die Engländer nehmen ihren Thee , was weder die Einen noch die Andern verhindert , um 7 Uhr wieder einen ausgezeichneten Appetit zu entwickeln . Am Abend neue Anziehungspunkte . Gewaltige eleltiische Flammen auf Stangen von 15 Meter Höhe beleuchten Davos von einem Ende zum andern und gießen Ströme von Licht aus , das mit der Weiße des Schnees wetteifert . Im Kurhaus hat man immer Anlaß , sich zu unterhalten : Wohlthatigleitsbazare , musilalifche Thees , Ballfefte . Ich glaube aber , daß man sich in den Hotels bei kleinein Vereinigungen noch besser amüsirt .

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