Täglicher Anzeiger für Thun und das Berner Oberland, Band 22, Nummer 234, 4. Oktober 1898 IIIF issue linkEidgenossenschaft. [SECTION]

Eidgenossenschaft.

— Die Streitkräfte. In einem Artikel unter dieser Aufschrift bemerkt der „Grütlianer": „Man bleibt ganz sicher unter der Wirklich, keit, wenn man die Stimmenzahlen, welche die „äußerste Linke" heute vertritt, auf 100,000 ansetzt. Die „Rechte" müßte allerdings geschlossen aufrücken, wenn sie rund 150,000 Mann stellen wollte. Wir sehen, wenn „Rechte" und „Linke" gut aufmarschieren würden, selbstverständlich getrennt, so wäre die Wahrscheinlichkeit nicht gering, daß sie kräftig genug erschienen, das Bundesleben in demokratischere Bahnen zu lenken, mit andern Worten, den Luzerner Beschlüssen zum Siege zu verhelfen." Wir sind nicht gesonnen, hier unsere Ansicht über die Doppelinitiative auszusprechen. Wenn aber in der Eidgenossenschaft die „Rechte" Ultramontane, eidgen. Verein rc. allein zur Herrschaft gelangten, dann gäbe es jedenfalls sonderbare „demokratische Bahnen." Das dürfte jeder wissen, der sich mit Politik und etwas Geschichte befaßt hat. — Englisches Fremdenrecht. Der Anarchistensührer I. Most ist in London nicht allein verfolgt, sondern bestraft worden. Er hatte in London das bekannte Anarchistenblatt „Freiheit" gegründet, das, in zahlreichen Exemplaren auf den im Jahre 1884 in der Schweiz verhafteten deutschen und österreichischen Anarchisten gefunden worden ist. Als er in diesem Blatte im Jahr 1881 anläßlich der Ermordung des Kaisers Alex.

II. von Rußland direkt zur Vernichtung anderer Monarchen aufforderte, wurde er in London zu 18 Monaten Zuchthaus verurtelt. Die englische Jury, die das Schuldig sprach, ging von der Erwägung aus, „die in England erfolgte Veröffentlichung, welche bezwecke, zum Morde von Souveränen auswärtiger Staaten oder anderer Personen aufzureizen sei ein streng zu bestrafendes Verbrechen." Nach Abbüßung der Strafe begab sich Most (ein zu Augsburg gcborner Deutscher, der das Buchbindergeschäft erlernte, von 1863 bis 1868 als Handwerksbursche durch Deutschland, Oesterreich, Italien und die Schweiz reiste. 1874 als Sozialdemokrat in den deutschen Reichstag gewählt wurde) nach New-Dork, wo er die „Freiheit" wieder herausgab, um neuerdings wiederholt zu Gefängnis verurteilt zu werden. — Grenzverletzung. In Mendrisio wurden zwei italienische Grenzwächter eingeliefert. Die beiden Herren hatten sich auf schweizer. Gebiet eingeschlichen, in der Nähe von Stabio, und hatten sich in einem etwa hundert Meter diesseits der Grenze gelegenen, den schweizerischen Zollwächtern gehörenden Zollhäuschen in aller Gemütsruhe häuslich eingerichtet. Von vier schweizerischen Zollwächtern belagert, wollten sich die beiden Italiener erst nicht einmal ergeben, und ließen sich hiezu erst bewegen, als sie die Revolver auf sich gerichtet sahen. — Bundesrat. Der schweiz. Bundesrat hat auf die Einladung der k. russischen Regierung, an einer Abrüstungs- und Friedenskonferenz teilzunehmen in zustimmenden Sinne geantwortet. — In der „Ostschweiz" wird die Gründung eines katholischen Technikums mit Sitz in Luzern vorgeschlagen. „Freiburg die Universität, Luzern das Technikum", ruft der Einsender begeistert aus. — Disziplin. Die „Limmat" schreibt: Schneidiges Militär liefern offenbar die Tessiner, voll ursprünglichen Freiheitszefühls. Ihrer 350 erhielten in Bellinzona bei der Rückkehr vom Truppenzusammenzug drei Tage Nach und Strafdienst zudikiurt, weil sie erst zwei Stunden später als befohlen war, einrücklen. Kurz entschlossen aber begann einer nach dem andern anszureißen, und auch der Wachtposten steckte sein Bajonett ein und schob ab. — Die Sozialdemokraten, genannt „äußerste Linke", haben in Luzern die Abschaffung der politischen Polizei beschlossen. Die politische Fremdenpolizei, welche der Bund ausübt, ist ein Verfassungsrecht (nach Art. 10 der Bundesverfassung steht dem Bunde das Recht zu, Fremde, welche die innere oder äußere Sicherheit der Schweiz gefährden, aus dem schweizerischen Gebiete wegzuweisen). Ihre Abschaffung setzt daher eine Versassungsrevision voraus. Die Sozialdemokraten thäten am besten, eine „Trippelinitialive" zu lancieren. Es geht eines mit dem andern! (N. Zch. Ztg.) Bern. Zur Besprechung der Rechtseinheit ist auf den 9. Oktober nach Bern eine Delegiertenversammlung der freisinnigen-demokratischen Partei des Kantons einberufen. — Prüfungen von Lehramtskandidaten. (Mitg.) Bei den Prüfungen, welche letzte Woche in Hofwyl stattfanden, stellten sich zur Vorprüf-

ung 54 Zöglinge, 33 von Hofwyl und 21 von Muristalden. Von den letzter» hat einer eine Nachprüfung in Naturkunde zu bestehen und einer fiel ganz durch in Naturkunde und Geschichte; alle übrigen konnten promoviert werden. Das Patentexamen bestunden 31 Zöglinge von Hofwyl, 18 vom Muristaldenseminar und eine Schülerin der städtischen Müdchensekundarschule, die letzten Frühling wegen Krankheit von der Prüfung zurücktreten mußte. Sämtliche Kandidaten konnten patentiert werden bis auf zwei Zöglinge von Hofwyl, die eine Nachprüfung im Französischen zu bestehen haben. Von zwei weiteren Kandidaten, die sich zu einem Nachexamen gestellt hatten, konnte einer patentiert werden. Die Leistungen waren im allgemeinen recht befriedigende. — Stadt. Kornhauskeller. Der Wirt des renovierten Kornhauskellers hat die gute Idee gehabt, die stadtbernische Presse zu einer gastlichen Vorfeier der Eröffnung einzuladen. Die Berichte über die gelungene Fröhlichkeit und das schöne Lokal sind des Lobes voll. Der Kornhauskeller in Bern sei nun das schönste Wirtschaftslokal der Schweiz; er sei vor allem ein bernisches Nationaleigentum geworden; mit Stolz dürften nun die Berner den Fremden ihren Kornhauskeller zeigen u. s. w. Nun, die Berichte werden ihren Zweck nicht verfehlen und bei nächster Gelegenheit gehen wir auch hin. — Stadt. Es werden lt. „Jntelligenzbl." vom Organisationskomitee für das nächstjährige eidgenössische Sängerfest in Bern Anstrengungen gemacht, daß sämtlichestadtbernischenSängerinnen, welche sich an diesem Feste beteiligen, in der Emmenthaler-Tracht auftreten möchten. Das „Jntelligenzblatt" spricht den Wunsch aus, es möchte dann wirkliche, echte Emmenthalertracht sein. — Nachdem die Gemeinde Bern den nötigen Kredit von 855,000 Fr. für die Anlagen zur Verteilung der von den Kanderwerken bezogenen elektrischen Kraft bewilligt hat, soll vom nächsten Frühling an elektrische Energie aus den neuen Elektrizitätswerken abgegeben werden können. Der Gemeinderat hat nun einen Tarif für die Stromabgabe für Beleuchtungszwecke und für Betrieb von Elektromotoren festgestellt und ladet die Interessenten zu beförderlicher Anmeldung zum Strombezug ein. Da eine rechtzeitige Stromabgabe und eine Reduktion der Erstellungskosten der Anschlußleitungen nur bei baldiger Kenntnis der gewünschten Anschlüsse möglich ist, so wird denjenigen Stromabnehmern, welche sich bis zum 31. Oktober zur Stromabnahme verpflichten, als Vergünstigung die Gratiserstellung der Anschlußleitung, soweit sie auf öffentlichem Grund und Boden liegt, gewährt. — Feuerwehr-Jnspektorenkurs. Ein solcher findet gegenwärtig, vom 3. bis 5. Oktober, in Bern statt. — Die Nacht vom 1. auf den 2. Oktober hat uns wieder gezeigt, wie die Rohheit und Brutalität immer neue Blüten treibt. Ein Knecht des Wein- und Spirituosenhändlers H. in Bern holte in Hindelbank Schnaps; an der Tiefenaustraße bei dem Gewölbedurchgang in die Felsenau kamen dem Fuhrwerke drei

Strolche nach und fragten, ob sie mitfahren dürften, was der Knecht zu seinem Nachteil bejahte. Kaum hatten die Kerls auf dem Wagen Platz genommen, fielen sie über den Knecht her, schlugen ihn so, daß er als Notfall in ein Spital gebracht werden mußte. Hoffentlich erwischt man die Strolche. — Das Aktienkapital der Rübenzuckerfabrik in Aarberg ist nunmehr vollständig gezeichnet. Mit dem Bau der Fabrik wird im Oktober begonnen werden. — Oberland. Im neu renovierten Kirchturm in Meiringen hat man am 28. September zum erstenmal wieder mit allen Glocken geläutet, was von der Bevölkerung mit Freuden begrüßt wurde. Die Glockenprobe ergab, daß alles aufs beste eingerichtet ist. Die neuen, von der Firma Rüetschi in Aarau gelieferten Glockenlager funktionierten ausgezeichnet. Nächster Tage wird auch die neue Kirchenuhr fertig werden. Die ganze Renovation, welche Herr Architekt Müller in Bern geleitet, erweist sich als ein gut durchgeführtes Werk. Schaffhausen. Der Große Rat wird in außerordentlicher Sitzung zusammentreten, um über die gefällten Todesurteile Brutsch und Zecchinati den letzten Entscheid zu fällen. Die Urteile mit Motiven werden den Kantonsrälen gedruckt mitgeteilt. Nach Verlesung sämtlicher Akten wird wahrscheinlich ohne Diskussion zur Abstimmung geschritten werden. Gt. Gallen. Der Gemeinderat der Stadt St. Gallen hat beschlossen, die Initiative zu ergreifen für den gleichzeiligen Bau der Bahnlinien Romanshorn - St. Gallen, St. Gallen-Watten-wyl und Ebnat-Neßlau bis zum Jahie 1903 unter Anlehnung an die Rikenlinie. Waadt. KursaalinLausanne. Herr Durel, Direktor des Kursaales in Genf, hat den Lausanern vorgeschlagen, auf dem Monrbenon einen Kursaal mit Theater rc. zu bauen. Die Vorstellungen und Konzerte hätten abwechselnd in Genf und Lausanne stattzufinden. Die -tüchtigsten Künstler aus allen Hauplstätten Europas sollten engagiert werden. Das Etablissement soll 1,200,000 Fr. kosten, weder Staat noch Gemeinde noch irgendwer wird um Subvention angesprochen. Die Lebenskraft soll vom „Rößchenspiel" abgeleitet werden, versteht sich, innerhalb der gesetzlichen und polizeilichen Schranken für diesen Zeitvertreib, sagt der Prospekt. Genf. Auf telegraphischem Wege wurden am 30. Sept. Staatsanwalt Navazza, Polizeidirektor Jornot und Polizeikommissär Aubert nach Bern berufen, wo mit dem Bundesrat eine wichtige Konferenz in Sachen Luccheni stattfand. Luccheni hat bis heute noch keinen Advokaten bestellt; er sagt, er wolle keinen, weil er keinen brauche. In Kriminalsachen ist aber laut Genfergesetz die Gegenwart eines Anwaltes vor den Assisen obligatorisch, und in diesem Falle wird ein solcher vom obersten Gerichtshof bestellt.

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